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Alltägliches

Helden des Alltags

Die Helden des Alltags

Marie Fredriksson ist gestorben. Ihr Verlust trifft mich ebenso, wie die Abschiedsworte von Per Gessle. Marie hat mein Leben musikalisch begleitet und unglaublich bereichert. Viele ihrer Titel treffen direkt ins Herz. Im Radio wiederholt der Moderator soeben Pers Worte und eine Gänsehaut wandert über meinen Körper.

Ich bin auf dem Weg zur Arztpraxis. Dort treffe ich im Wartebereich auf neue Gesichter mit bekanntem Minenspiel. Vertraute Menschen lächeln mich an und ich bemühe mich, bei mir zu bleiben, die Ängste der anderen nicht an mich heranzulassen. Neugierige Blicke treffen mich und ich sehe die gleichen Fragen in ihnen, die mich bewegten, als ich zum ersten Mal hier saß.

In diesem Moment wird mir klar, dass sie Helden unseres Alltags sind. Menschen, die den Kampf gegen den Krebs aufgenommen haben und sich ihm jeden verdammten Tag stellen. Und auch diejenigen, die den Kampf aufgegeben haben, zählen dazu. Etwas Unabwendbares anzunehmen, und das Beste daraus zu machen, bedeutet für mich wirkliches Heldentum.

Marie hat diesen Kampf verloren und viele, die ich jetzt in diesem Raum sehe, werde ich in naher Zukunft nicht mehr treffen. Ich erinnere mich an eine Realschullehrerin: Wir haben kurz nach Ostern etliche Stunden der Therapie zusammen in einem Zimmer verbracht. Sie hat mir von ihrem Leidensweg erzählt, ihrer Familie und dem schrecklichsten Osterfest, das sie je erlebt hat. Hätte sie über die nötige Kraft verfügt, wäre sie aufs Dach geklettert und gesprungen. Ihre Worte treiben mir Tränen in die Augen und ich schaue angestrengt auf die Infusion, die regelmäßig eine Flüssigkeit in meine Vene treibt. Und dann auf meinen Bauch, aus dem ein Schlauch in einen Eimer hängt, aus dem Flüssigkeit läuft.

Sie erzählt stockend weiter und berichtet von ihren Sorgen um ihren Mann. Sie will ihn nicht zurücklassen müssen. Er wäre so hilflos ohne sie. Die vielen Ehejahre haben sie zusammengeschweißt. Sie zieht ihre Wolldecke fester um ihren frierenden klapperdürren Körper und schließt kurz die Augen. Ich sehe in ihr ausgemergeltes Gesicht und ihre Schilderungen laufen bildhaft vor meinen Augen ab. Ihr körperlicher Zusammenbruch, die Unfähigkeit, Nahrung bei sich zu behalten, die Kraftlosigkeit, die wahnsinnigen Schmerzen und der Wunsch einfach die Augen nicht mehr aufmachen zu müssen, kollidieren so heftig mit der Liebe zu ihrem Mann und ihrem erwachsenen Sohn. Auch sie ist eine Heldin für mich. Eine Frau wie sie, leise und bescheiden und in ihren Worten klar, deutlich und stark. Eine Woche später lese ich ihre Todesanzeige in der Zeitung und mein Herz zieht sich zusammen. Tränen tropfen auf das Papier und ich schniefe laut.

Ich schüttle den Kopf, um diese Erinnerungen loszuwerden, und höre im nächsten Augenblick meinen Namen. Erleichtert folge ich der Helferin ins Labor und Dankbarkeit macht sich in meiner Brust breit. Dankbarkeit, dass ich zu den Menschen gehöre, die ein Rückfahrticket erhalten haben – zurück ins Leben.

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